Unser Gesprächspartner im aktuellen Programmheft ist Andreas Koop, Designer, Designforscher, Nachdenker, Autor. Er sieht Gestaltungsarbeit als Arbeit an der Gesellschaft.
Andreas Koop betreibt im Allgäu ein vielfach ausgezeichnetes Designbüro, das sich schwerpunktmäßig mit Nachhaltigkeit, Inklusion und Designforschung auseinandersetzt. Er wagt es in seiner Arbeit manchmal auch ein „Weniger“ zu gestalten, um die Kollateralschäden der künstlichen Bedürfniserzeugung zu minimieren.Darüber hinaus ist er der Meinung, dass die besten Lösungen dort entstehen, wo unterschiedliche Menschen ins Gespräch kommen und gemeinsame Anliegen erkennen: zum Beispiel bei dem von ihm kuratierten Symposium „Stadt.Land.Schluss“, das im Oktober 2019 zu dritten Mal stattfindet.
Interview: Nicola Weber
Du stellst dir in deiner Arbeit den Anspruch, werteorientierte Gestaltung zu machen. Welche Werte sind es, an denen du dich bei deinen Projekten orientierst?
Unser grundlegendes Kriterium ist es, nur für Auftraggeber zu arbeiten, deren Produkte wir auch selbst essen, kaufen, fahren, bewohnen, anwenden oder verschenken würden. Zum anderen geht es darum, dass eine Gestaltungslösung – aber eigentlich ja jede Lösung – nur dann gut ist, wenn sie für alle gut ist. Dazu gehören Auftraggeber und Gestalter, aber auch, mit seinen Mitarbeitern anständig umzugehen, die Lieferanten ordentlich zu bezahlen, den Lebensraum mitzudenken, wo produziert wird, die Umwelt und Gesellschaftsgruppen, die selbst keine so laute Stimme haben. Wenn dann etwas Gutes herauskommt, basiert es für mich auf Werten.
Man könnte es noch drastischer formulieren: du willst ethisches Design machen?
Den Begriff finde ich eigentlich sehr passend und wahrlich nicht schlimm, aber man verscheucht manche Leute damit. Würde ich noch eins draufsetzen, hieße es „moralisches Design“, auch das steckt in der Werteorientierung drin, ebenso wie Respekt, Sinnhaftigkeit oder Zukunftsfähigkeit. Alles übrigens Werte, die wir eigentlich auch von der Politik erwarten dürften – „eigentlich“ sage ich. Die Assoziation ist aber zulässig und Design vor diesem Hintergrund immer auch auf eine Art politisch.
Als DesignerIn möchte man gern einen gewissen Anspruch für sich reklamieren, die Welt zu gestalten. Aber sind die wirklichen Gestalter nicht vielmehr Politik und Ökonomie? Wo hat man als DesignerIn tatsächlich die Möglichkeit, abseits von ästhetischen Fragen Weichen zu stellen?
Auf die Frage „Wer gestaltet die Welt?“ würde ich grundsätzlich sagen: alle und keiner. Es wird uns zunehmend klar, dass jeder Einzelne schon mit einem banalen Einkauf politisch tätig ist, je nachdem für welches Produkt er sich entscheidet. Wird man als Designer zu einer Aufgabe geholt, ist es eher die Ausnahme, als Experte für Weichenstellungen angesehen zu werden und die Thematik erst mal in Ruhe anzusehen, sie inhaltlich reflektieren zu können und dann erst an die Gestaltung zu denken. Meist wird man geholt und merkt, mit dieser Broschüre, diesem Plakat oder dieser Webseite lösen wir nicht den Hauch eines Problems. Dann muss man Überzeugungsarbeit leisten und darauf beharren, zuerst über das Woher, Wohin und Warum nachzudenken. Also erst mal drei Schritte zurückzugehen, um dann weiter zu kommen. Man könnte es so zusammenfassen: Der Anfang ist immer vorn!
Wann ist es dir zuletzt gelungen, aus deiner Rolle heraus Grundlegendes zu beeinflussen?
Ein Beispiel aus unserer Arbeit ist der „Lechweg“. Wir haben einen geladenen Wettbewerb für das neue Erscheinungsbild dieses Weitwanderweges von Lech am Arlberg nach Füssen gewonnen. Bald hat sich herausgestellt, dass kaum klar war, wohin das Ganze inhaltlich gehen soll und es für die eigentliche Designaufgabe zu früh war. Über viele Gespräche konnten wir dazu animieren, nochmals Energie in die inhaltliche Entwicklung zu stecken und tatsächlich so etwas wie einen Wertekanon für diesen Wanderweg aufzustellen. Das reichte sehr weit über Grafik oder Design hinaus, da ging es von der Architektur über regionale Lebensmittel bis zum Umgang mit der Natur und vieles mehr. Im Kern haben sich alle darauf verständigt, sich jeglicher aufgesetzten Inszenierung dieses Natur- und Kulturraums zu verwehren. Daraus konnte man dann ein Erscheinungsbild entwickeln, das logisch und schlüssig war. Der Prozess hat auch dazu geführt, dass eine lokale Brauerei und eine Ginbrennerei sich wirtschaftlich entwickeln konnten und ein geplantes Chaletdorf im hinteren Lechtal schlussendlich nicht gebaut wurde. Man fängt also mit einem Logo an und hat plötzlich Einfluss auf den Bau oder Nicht-Bau einer Feriensiedlung – das ist schon toll.
In vielen Fällen ist Design Teil der Konsumindustrie und eines schier übermächtigen Wachstumscredos. Kann man als DesignerIn überhaupt für ein „Weniger“ stehen?
Wachstum als solches ist ja nicht grundsätzlich zu verteufeln. Wenn im Lechtal die Abwanderung etwas eingedämmt werden kann und sich neue ökonomische Perspektiven eröffnen, dann ist das mehr als gerechtfertigt. Wenn das Mehr aber zum reinen Selbstzweck wird, dann geht es nur noch darum, künstlich Bedürfnisse zu schaffen, um sie dann profitabel zu befriedigen. Das zieht einen derartigen Kollateralschaden an Ressourcenvergeudung nach sich, das kann nicht vernünftig sein. Ich habe mir beispielsweise angesehen, welche Produktpalette VW in den 1970er Jahren hatte – es waren ungefähr 14 Modelle, und welche es heute hat: rund 180! – Da wird einem klar, dass diesem Angebot keine Nachfrage vorausgehen konnte, so differenziert kann man gar nicht wünschen! – Man merkt ja auch, welche enormen Energien marketingtechnisch aufgefahren werden müssen, um dieses Mehr am Laufen zu halten.
Du hast kürzlich ein Buch geschrieben, das sich unter dem Titel „Schön und Gut“ genau mit diesen Themen beschäftigt. Es zeigt motivierende Handlungsoptionen auf und im Grunde eine positive Zukunftsvision.
Das Buch hat ganze sechs Jahre zum Werden gebraucht und hat den Untertitel „Was werteorientierte Gestaltung verändern kann“. – Ich schaue mir einerseits dabei an, was sich an den Rahmenbedingungen unseres Lebens verändert hat. Wichtig war mir aber vor allem aufzuzeigen, dass man vor dieser – nennen wir es – „Moral“ in der Gestaltung nicht ehrfürchtig erstarren muss, sondern viele Optionen hat. Wenn man offen für Transund Interdisziplinarität ist, den Medien- und Designbegriff erweitert, nicht nur Produkte, sondern auch Prozesse gestaltet und vieles mehr. – Also ja, eine positive Zukunftsvorstellung. Das ist ambitioniert – aber wer soll es sonst machen? Den Politikern und Konzernen sollten wir es nicht überlassen! Die meisten Utopien sind heute ja noch immer technologielastig und wir stecken in einem Teufelskreis: eine neue Technologie muss her, um die Folgen der vorhergehenden zu beheben. Das Fliegen, das Beamen, der Weltraum … alles wahnsinnig verlockend, aber es hat aus meiner Sicht ausgedient. Unsere Probleme sind sehr „irdisch“! – Ich denke deshalb, eine heutige Utopie muss eine soziale sein und Lösungen für die Frage anbieten: Wie funktioniert unser Zusammenleben, so dass es unsere Lebensgrundlage nicht zerstört? Das können GestalterInnen natürlich allein nicht lösen, aber vielleicht zusammen mit AnthropologInnen, SoziologInnen, TheologInnen, PhilosophInnen – also in einem ganz interdisziplinären Team. So könnte eine Dynamik entstehen, die jedem Einzelnen auch die Angst am Scheitern nimmt.
Genau diese Transdisziplinarität ist auch der Kern des Symposiums „Stadt.Land. Schluss.“, das du heuer bereits zum dritten Mal veranstaltest?
Anfangs war es eine Alternative zu meinem Buch, mit dem ich nicht weiter kam. Ich dachte mir, vielleicht macht eine Veranstaltung mehr Sinn, wo „echte“ Menschen zusammenkommen. Außerdem war der Hintergrund, dass ich selbst am Land lebe und es dort kaum ein Bewusstein dafür gibt, seinen Lebensraum aktiv zu gestalten – es ist mehr ein Reagieren als ein Agieren. Die Rolle von DesignerInnen ist am Land marginal bis nicht vorhanden, deshalb habe ich mich gefragt, was heißt es, aus der Sicht des Gestalters an den ländlichen Raum heranzugehen? – Bei diesem dreitägigen Symposium sprechen die Leute nicht vor ihresgleichen, sondern Philosophen vor Bürgermeistern, Bauern vor Architektinnen, Regionalplanerinnen vor Künstlern, Theologen vor Designern – und sie sprechen auch miteinander! – Was ich dabei für eine wesentliche Beobachtung gemacht habe: gestaltende Menschen denken meist in Optionen, Politiker hingegen in Restriktionen. Die Perspektiven sind also sehr verschieden und es ist höchst interessant, Einblicke in die verschiedenen Welten zu bekommen. Und dann kann man herumspinnen: Was wäre, wenn wir diesen Musil’schen Möglichkeitssinn den Politikern schmackhaft machen könnten? Wenn PolitkerInnen gestaltend denken und GestalterInnen politisch agieren? Wenn GestalterInnen untereinander nicht in Konkurrenz sondern in Kooperationen denken? Was mich besonders freut: Dort im Allgäu, wo die Konferenz stattfindet, wird sie inzwischen als wichtiger Teil der Regionalentwicklung gesehen. Und zwar nicht als Standortmarketing, sondern um die Region von innen heraus zukunftsfähig zu machen.
Das Symposium „Stadt.Land.Schluss“ findet vom 17.–18. Oktober 2019 in Marktoberdorf im Allgäu statt.